Zeitschrift EE

Zurück zu 2019-02: Energieaktive Fassaden

Solaren Gebäudehüllen den Weg in den Massenmarkt ebnen

Tilmann E. Kuhn, Michael Hermann, Christoph Maurer

Der überwiegende Anteil der Photovoltaik- und Solarthermieanlagen ist mit Befestigungssystemen auf Dächern montiert. Doch auch in Fassaden und Dachflächen vollständig integrierte Solarmodule und -kollektoren bieten Gebäudeeigentümern große Vorteile. Vor allem Städte könnten so ihren Energieverbrauch nachhaltiger gestalten. Doch noch immer handelt es sich bei der bauwerksintegrierten Photovoltaik, kurz BIPV, und der bauwerksintegrierten Solarthermie (BIST) um Nischenmärkte.

Exponate TABSOLAR® »Premium« (links) und TABSOLAR® »Design« (rechts). Foto: Fraunhofer ISE

An den Nutzern liegt es nicht, bei ihnen ist die Akzeptanz hoch. Architekten und Planer haben solare Gebäudehüllen in der Vergangenheit jedoch nur zögerlich eingesetzt. Ein Grund für die mangelnde Verbreitung: Die Produkte wurden für die Branche anstatt mit ihr entwickelt. Bauwerksintegrierte Photovoltaik und bauwerksintegrierte Solarthermie sollten daher stärker als bislang den Erfordernissen von Architekten und Planern angepasst werden. Die Technologien müssen aus der Perspektive der Branche gedacht werden, sich dort ein- und unterordnen.

Wichtige Bausteine für einen größeren Markt sind deswegen die gemeinsame Entwicklung von Forschung und Industrie sowie die Integration in die Planungswerkzeuge und Prozesse der Baufachleute. Erst dann ergibt eine industrielle Fertigung Sinn, um die Kosten zu senken. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE treibt daher in mehreren Projekten die Technologie mit den Wirtschaftsakteuren voran.

Farbige BIPV-Module mit der Branche entwickeln

Bei der Photovoltaik liegt der Fokus vor allem auf farbigen Modulen. Am Institut haben die Forscher bereits einsatzfähige BIPV-Prototypen mit variablen Zell- und Modulformaten sowie vielfältigen Designoptionen gebaut. Die Auswahl an solaren Gebäudehüllen ist groß: ob teiltransparent mit sichtbaren Siliciumsolarzellen oder opak in verschiedenen Farben. Konzepte für hochautomatisierte Produktionslinien liegen in der Schublade, sie ermöglichen die industrielle Herstellung auch kleiner Produktionsmengen. Solche kundenspezifische Bauprodukte können auch in Europa produziert werden, wie die Herstellung von Mehrscheiben-Isoliergläsern zeigt.

Am Institut entwickeltes BIPV-Modul mit hoher Farbsättigung bei gleichzeitig geringen Wirkungsgradverlusten. Foto: Fraunhofer ISE

Gebäudeintegrierte solarthermische Streifenkollektoren und Jalousien

Praxistaugliche Fassadenkollektoren, die außerdem hohen Gestaltungsansprüchen genügen, entwickeln die Forscher in dem Projekt »ArKol« (Entwicklung von architektonisch hoch integrierten Fassadenkollektoren mit Heat Pipes). Hierbei handelt es sich um zwei neuartige Fassadenkollektoren: einen Streifenkollektor und eine solarthermische Jalousie.

Der solarthermische Streifenkollektor bietet eine gegenüber klassischen Kollektorbauarten erhöhte Flexibilität und gestalterischen Freiraum. Architekten können die Fassaden vollflächig nutzen oder nur Akzente setzen. Der Abstand und das Material zwischen den Kollektorstreifen können ebenso frei gewählt werden wie deren Länge. Zwischen den verglasten Kollektorstreifen können klassische Materialien wie Holz oder Putz, Strukturen und Farben Platz finden. Gleichzeitig ist der Streifenkollektor ein vollwertiger Solarkollektor. Der spektralselektiv beschichtete Absorber eines Kollektorstreifens ist thermisch leitend mit der Heat-Pipe verbunden; später kann gegebenenfalls eine flache Heat-Pipe selbst den beschichteten Absorber darstellen. Gute Wärmedämmung und die Glasabdeckung sorgen für geringe Wärmeverluste. Die gewonnene Solarwärme wird über den Heat-Pipe-Kondensator in »trockener Anbindung« an den Sammelkanal übertragen. Dieser dient somit gleichzeitig als durchströmte Montageschiene, was eine einfache Installation erlaubt.

Solarthermischer Streifenkollektor. Foto: Fraunhofer ISE

Auch bei der solarthermischen Jalousie sind die Grundelemente flache Streifen. Die Jalousie ist zwischen den Glasscheiben in die Fassade integriert, in der Regel befindet sich auf der Innenseite eine Zwei- oder Dreifachverglasung, die den Fassadenzwischenraum thermisch vom Innenraum abtrennt. Die Jalousie verringert durch die absorbierte Solarenergie die Kühllast des Gebäudes und liefert Solarthermiewärme an die Haustechnik. Ihre Lamellen verfügen über eine spektralselektive Beschichtung, eine Heat-Pipe transportiert die Wärme der Lamelle an einen seitlichen Sammelkanal. Dank der schaltbaren Anbindung an den Sammelkanal ist die solarthermische Jalousie ähnlich beweglich wie eine normale, sie kann gedreht und gerafft werden. So kann der Nutzer die Jalousie je nach Sonnenstand regeln. Da moderne Hochhäuser heute schon oft Jalousien in beidseitig verglasten Fassadenzwischenräumen verwenden, ist die Technik kompatibel mit etablierten Lösungen.

Solarthermische Jalousie. Foto: Fraunhofer ISE

Solarthermische Fassadenelemente aus Ultrahochleistungsbeton

Die neuen Produkte könnten solaren Gebäudehüllen den Weg in den Massenmarkt ebnen. Dazu zählt auch das solarthermische Fassadenelement TABSOLAR® (TABS steht für die mögliche Funktion als »Thermoaktives Bauteilsystem«, SOLAR für die Anwendung als Solarkollektor). Das Fassadenelement orientiert sich hinsichtlich Material und Fertigung an der Baubranche. Die Grundidee besteht darin, durchströmbare Bauteile aus Ultrahochleistungsbeton (UHPC) herzustellen, die als thermoaktive Bauteile im Gebäudeinnern oder als Solarkollektoren an der Fassade genutzt werden können. Die Paneele aus UHPC sind von FracTherm®-Kanalstrukturen durchzogen.

TABSOLAR-Element aus Ultrahochleistungsbeton mit FracTherm®-Kanalstruktur. Foto: Fraunhofer ISE

Für eine verbesserte Absorption der Solarstrahlung kann der UHPC spektralselektiv beschichtet werden. Die Produktfamilien TABSOLAR »Premium», »Economy» und »Design» erlauben unterschiedliche Anwendungen und Gestaltungsmöglichkeiten. Auch hier ist das Ziel, eine architektonisch hochwertige Nutzung zu erreichen, die gleichzeitig eine solare Energiegewinnung erlaubt.

Integration in Bauprozesse vorantreiben

Die neuen Produkte müssen jedoch auch in Planung, Bau und Betrieb der Gebäude integriert werden. In der Bauwerksdatenmodellierung, englisch Building Information Modelling (BIM), sollten Solarfassaden deshalb einen angemessenen Platz erhalten. Im Projekt SolConPro und dem 2018 gestarteten Projekt SCOPE arbeitet das Fraunhofer ISE mit Partnern aus Bauindustrie und Informationstechnik genau daran. Einem Planer, der eine Fassade sucht, soll künftig über BIM die Option »Solarfassade« ähnlich einfach zur Verfügung stehen wie herkömmliche Fassaden oder andere Bauteile. Dies könnte nicht nur den Energieverbrauch von Gebäuden nachhaltiger gestalten, sondern auch der europäischen Solarindustrie neues Leben einhauchen und die ins Stocken geratene Energiewende in Schwung bringen.

Autoren

Dr. Tilmann E. Kuhn ist Gruppenleiter Solare Gebäudehüllen am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, Freiburg, Deutschland.

Dr.-Ing. Michael Hermann arbeitet zu den Themen Wärmeübertrager und Kollektorentwicklung sowie Solarthermische Fassaden am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, Freiburg, Deutschland.

Dr.-Ing. Christoph Maurer leitet die Gruppe Messtechnik und Digitale Prozesse im Geschäftsfeld Energieeffiziente Gebäude am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE, Freiburg, Deutschland.

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