Zeitschrift EE

nt 02 | 2020: Hybride Solartechnologien

Saubere Energie als Mittel zur Bekämpfung der Corona-Konjunkturkrise

Fatih Birol

Die weltweiten Auswirkungen des Coronavirus und die daraus resultierenden Turbulenzen auf den Märkten beherrschen die globale Aufmerksamkeit. Bei der Reaktion der Regierungen auf diese miteinander verflochtenen Krisen dürfen sie eine große Herausforderung unserer Zeit nicht aus den Augen verlieren: den Übergang zu sauberer Energie. Das Coronavirus hat sich zu einer beispiellosen internationalen Krise entwickelt, die schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen und die Wirtschaftstätigkeit hat. Doch die Auswirkungen der Coronakrise sind wahrscheinlich nur vorübergehend. Die Bedrohung durch den Klimawandel bleibt bestehen und macht es erforderlich, die globalen Emissionen in diesem Jahrzehnt deutlich zu reduzieren. Wir sollten nicht zulassen, dass die heutige Krise unsere Bemühungen zur Bewältigung der unausweichlichen Herausforderungen des Klimawandels beeinträchtigt.

Foto: Internationale Energieagentur

Die Regierungen erarbeiten Konjunkturprogramme, um den wirtschaftlichen Schäden durch das Coronavirus entgegenzuwirken. Diese Konjunkturpakete bieten eine ausgezeichnete Gelegenheit, dafür zu sorgen, dass die wesentliche Aufgabe des Aufbaus einer sicheren und nachhaltigen Energiezukunft nicht inmitten der Hektik der unmittelbaren Prioritäten verloren geht.

Groß angelegte Investitionen zur Förderung der Entwicklung, des Einsatzes und der Integration sauberer Energietechnologien - wie Solar- und Windenergie, Wasserstoff, Batterien und Kohlenstoffabscheidung (CCS) - sollten aufgrund ihres doppelten Vorteils ein zentraler Bestandteil der Pläne der Regierungen sein, da sie einerseits die Wirtschaft ankurbeln und andererseits den Übergang zu sauberen Energien beschleunigen. Die Fortschritte, die dadurch bei der Umgestaltung der Energieinfrastruktur der Länder erzielt werden, werden nicht nur vorübergehend sein - sie können unsere Zukunft nachhaltig verändern.

Die Kosten für Schlüsseltechnologien im Bereich der Erneuerbaren Energien, wie Sonne und Wind, sind bereits weitaus niedriger als in früheren Perioden, als die Regierungen Konjunkturpakete auflegten. Und die Technologien sowohl für Sonnen- als auch für Windenergie sind bereits sehr weit entwickelt. In Bezug auf Wasserstofftechnologien und Kohlenstoffabscheidung sind noch höhere Investitionen für Forschung erforderlich, um die Kosten zu senken. Das derzeitige Zinsniveau könnte jedoch dazu beitragen, dass die Finanzierung von Großprojekten günstiger wird. Die Regierungen können außerdem Erneuerbare Energie für private Investoren attraktiver machen, indem sie Garantien und Verträge zur Verringerung der finanziellen Risiken bereitstellen.

Diese Schritte sind äußerst wichtig, da die Kombination aus Coronavirus und volatilen Marktbedingungen die Aufmerksamkeit von Politikern, Wirtschaftsexperten und Investoren von der Umstellung auf saubere Energie ablenken kann.

Das Coronavirus hat sich zu einer beispiellosen internationalen Krise mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen und die Wirtschaftstätigkeit entwickelt

Beobachter werden schnell erkennen, ob der Fokus der Regierungen auf die Energiewende nachlässt, wenn die Marktsituation schwieriger wird.

Der starke Rückgang des Ölmarktes mit sinkenden Preisen kann den Übergang zu sauberen Energien untergraben, indem er Impulse für Energieeffizienzmaßnahmen verringert. Ohne Maßnahmen der Regierungen führt billigere Energie dazu, dass Verbraucher sie weniger effizient nutzen. Billige Energie verringert die Attraktivität des Kaufs effizienterer Autos oder der Sanierung von Häusern und Büros, um Energie einzusparen. Das wäre von Nachteil, da Fortschritte in Bezug auf Energieeffizienz, einem wesentlichen Element zur Erreichung der internationalen Klimaziele, in den letzten Jahren bereits nachgelassen haben.

Regierungen können dem entgegenwirken, indem sie Politiken verfolgen, die sich bereits zuvor als erfolgreich erwiesen haben, wie z. B. Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden zu setzen, die Arbeitsplätze schaffen, Energierechnungen senken und der Umwelt nützen.

Der jüngste starke Rückgang der Ölpreise ist aber auch eine große Chance für die Länder, die Subventionen für den Verbrauch fossiler Brennstoffe zu senken oder abzuschaffen. Von diesen Subventionen gibt es heute weltweit rund 400 Milliarden US-Dollar, und mehr als 40 % dienen dazu, Ölprodukte zu verbilligen.

Subventionen fossiler Energien, 2018. Quelle: Internationale Energieagentur (IEA- https://www.iea.org/topics/energy-subsidies)

Es kann gute Gründe für Regierungen geben, Energie erschwinglicher zu machen, insbesondere für die Ärmsten. Viele Subventionen sind jedoch nicht sehr zielgerichtet und kommen wohlhabenderen Bevölkerungsgruppen zugute. In der Praxis bewirken die meisten Subventionen, dass die Verbraucher zur Energieverschwendung ermutigt werden, was unnötig zu Emissionen beiträgt und die Staatshaushalte mit Kosten belastet, die ansonsten z. B. dem Bildungssystem oder Gesundheitswesen zur Verfügung stünden.

Diese Situation ist ein Test für das Engagement von Regierungen und Unternehmen für den Übergang zu sauberer Energie

Das Coronavirus birgt weitere Gefahren für den Übergang zu sauberer Energie. China, das Land, das anfangs am stärksten vom Virus betroffen war, ist weltweit der Hauptproduzent von erneuerbaren Energietechnologien, wie z. B. Sonnenkollektoren, Windturbinen oder Batterien für Elektroautos. Vor allem im Februar führten die Bemühungen zur Eindämmung des Virus in China zu potenziellen Engpässen in der Lieferkette für einige Technologien und Komponenten.

Regierungen müssen sicherstellen, dass sie bei der Reaktion auf diese sich schnell entwickelnde Krise die Umstellung auf saubere Energien im Auge behalten. Eine Analyse der Internationalen Energieagentur (IEA) zeigt, dass Regierungen direkt oder indirekt für mehr als 70 % der weltweiten Energieinvestitionen verantwortlich sind. Sie haben heute die historische Chance, diese Investitionen auf einen nachhaltigeren Weg zu lenken.

Wie die IEA im Februar bekannt gab, haben die globalen energiebedingten CO2-Emissionen im vergangenen Jahr nicht zugenommen, obwohl die Weltwirtschaft um fast 3 % gewachsen ist. Wir müssen dafür sorgen, dass 2019 als der endgültige Höhepunkt der globalen Emissionen in Erinnerung bleibt, und das bedeutet, dass wir jetzt Maßnahmen ergreifen müssen, um sie in diesem Jahrzehnt nachhaltig zu senken.

Das Coronavirus birgt erhebliche Gefahren für den Übergang zu einem nachhaltigen Energiesystem

Es ist gut möglich, dass die CO2-Emissionen in diesem Jahr aufgrund der Auswirkungen des Coronavirus auf die Wirtschaftstätigkeit, insbesondere den Verkehr, sinken werden. Aber es ist sehr wichtig zu verstehen, dass dies nicht das Ergebnis der Einführung neuer Politiken und Strategien durch Regierungen und Unternehmen ist. Es wäre höchstwahrscheinlich nur ein kurzfristiges Ereignis, auf das durchaus ein Wiederanstieg der Emissionen folgen könnte, wenn die Wirtschaftstätigkeit wieder anzieht. Wirkliche, nachhaltige Emissionssenkungen werden nur dann eintreten, wenn Regierungen und Unternehmen die Verpflichtungen erfüllen, die sie bereits angekündigt haben.

Die Regierungen können die gegenwärtige Situation nutzen, um ihre Klimaambitionen zu verstärken und nachhaltige Konjunkturpakete mit Schwerpunkt auf sauberen Energietechnologien aufzulegen. Die Coronavirus-Krise richtet weltweit bereits erheblichen Schaden an. Anstatt die Tragödie durch die Behinderung des Übergangs auf saubere Energien zu verschlimmern, müssen wir die Gelegenheit ergreifen, die Energiewende zu beschleunigen.

Autor

Dr. Fatih Birol ist Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur (IEA)

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