Zeitschrift EE

nt 04 | 2020 Digitalisierung im Energiesektor

Internationale Kooperation für „Datengesteuerte intelligente Gebäude“

Stephen White, Dagmar Jähnig

Neueste Entwicklungen in der Digitalisierung haben auch im Gebäudebereich das Potenzial, Kosten zu senken und die Energieeffizienz durch optimierten Betrieb von Heiz-, Kühl- und Lüftungssystemen zu verbessern. Beispiele dafür sind das Internet der Dinge (IoT) mit Zugang zu kostengünstigeren Messdaten aus Gebäuden oder künstliche Intelligenz und Datenanalyse für eine umfassende Bewertung der Energieeffizienz und vorausschauende Regelungen. Sharing Economy-Plattformen bieten in diesem Zusammenhang neue Geschäftsmodelle für NutzerInnen und AnbieterInnen von Energieeffizienz-Softwarediensten.

Teilnehmer des Definitionsworkshops für das Projekt „Datengesteuerte intelligente Gebäude“ der Internationalen  Energieagentur im September 2019 in London. Foto: IEA EBC Annex 81

Leider wird das Potenzial der Digitalisierung für die Energieeffizienz in Gebäuden bisher noch nicht ausgeschöpft. Open-Data-Konzepte sind eine Möglichkeit, um Hindernisse abzubauen und Innovationen zu stimulieren.

In einem Projekt der Internationalen Energieagentur (IEA EBC Annex 81) arbeiten Experten aus der Gebäudebranche und der IT-Branche von vier Kontinenten an einer gemeinsamen Vision. Das Ziel ist, Softwareanwendungen wie modellprädiktive Regelung (MPC) oder Fehlererkennung und -diagnose (FDD) durch verfügbare kostengünstige Daten aus Gebäuden zu realisieren.

Im Rahmen von Annex 81 sollen folgende Forschungsfragen beantwortet werden:

  • Wie können Softwareanwendungen für Energieeffizienz durch Digitalisierungstechnologien und Geschäftsmodelle unterstützt werden?
  • Welche „Data-Governance“1, Standards und Softwarefunktionen werden benötigt, damit beteiligte Personen einen Open-Data-Ansatz für diese Softwareanwendungen befürworten?
  • Wie können Semantic-Web-Technologien2 den Nutzen von Daten und die Kompatibilität von Softwarelösungen für verschiedene Gebäudeanwendungen verbessern?
  • Wie tragen datenbasierte Ansätze dazu bei, technische und wirtschaftliche Hindernisse für Gebäudeoptimierungstechnologien abzubauen?
  • Wie können datenbasierte Ansätze verwendet werden, um den Gebäudebetrieb zu bewerten und Richtlinien, Programme und Geschäftsmodelle zur Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden zu unterstützen?
  • Wie können Cloud-basierte Datenverwaltungsund -steuerungsstrategien die Optimierung und Systemintegration auf jeder der Ebenen Gebäude, Quartier und Netze unterstützen?

Zur Beantwortung dieser Fragen sollen einerseits Wissen, Standards, Protokolle und Verfahren zur kostengünstigen Erfassung und Nutzung von Daten in Gebäuden bereitgestellt werden. Es werden Open Data Concepts, Data Governance, Datenplattformen und Dateninformationsmodelle für Gebäudetechnikanwendungen untersucht.

Cloud Management zur Nutzung von Gebäuden als dezentrale Energieressource. Quelle: IEA EBC Annex 81

Außerdem wird eine Simulationsumgebung für Gebäude entwickelt, die die Bewertung von unterschiedlichen HLK-Regelungsstrategien ermöglicht. Dabei werden die Rahmenbedingungen für die Entwicklung und das Testen von modellprädiktiven Regelungsanwendungen untersucht. Als Modelle sollen sowohl White Box-, Grey Box- als auch Black Box- Ansätze für die Gebäudemodellierung Anwendung finden. Weiters sollen professionelle, kommerzialisierbare Softwarelösungen zur Energieeffizienzsteigerung von Gebäuden entwickelt werden. Diese sollen auch für die Optimierung der Einbindung in übergeordnete Netze verwendet werden. Die Projektergebnisse werden durch Fallstudien untermauert sowie durch gezielten Know-how-Transfer verbreitet. Konkrete Umsetzungen sollen durch innovative Geschäftsmodelle unterstützt werden.

Nutzen für unterschiedliche Zielgruppen

Zu den wichtigsten Zielgruppen und NutzerInnen der Ergebnisse des Projekts gehören GebäudeeigentümerInnen, Facility ManagerInnen, politische EntscheidungsträgerInnen und ExpertInnen aus der Forschung. Datenstandards, -verfahren und -tools helfen GebäudeeigentümerInnen, Daten aus mehreren getrennten Quellen zu konsolidieren und die Interoperabilität der Anlagen in Gebäuden zu verbessern. Dies ermöglicht eine wettbewerbsfähige Beschaffung von Energieeffizienzdiensten und einen besseren Zugang zu Innovationen im Bereich Energieeffizienz. Für politische EntscheidungsträgerInnen sind vor allem Leistungsindikatoren interessant. Datengesteuerte Indikatoren tragen dazu bei, Strategien, Programme und Geschäftsmodelle zu unterstützen, die auf die Verbesserung der Energieeffizienz in Gebäuden abzielen. Datenstandards, -verfahren und instrumente helfen Regierungen, durch die Nutzung der Digitalisierung in ihren eigenen Gebäuden Best-Practice-Beispiele aufzuzeigen. Weiters wird die Verfügbarkeit von Daten durch den Annex 81 Innovationsprozesse bei der Entwicklung neuer intelligenter Software- und Gebäudeautomationsanwendungen auslösen bzw. unterstützen.

Österreichische Beiträge

Aus Österreich nehmen drei Institutionen mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten an dem Projekt der Internationalen Energieagentur teil: AEE INTEC als nationaler Koordinator, das Institut für Software Technology der Technischen Universität Graz (IST) und die Austrian Institute of Technology GmbH (AIT).

AEE INTEC beschäftigt sich derzeit in zwei Projekten mit digitalen Gebäudezwillingen. In den Projekten „Digitaler Zwilling“, gefördert durch das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie - Programmlinie Stadt der Zukunft, und “Arrowhead Tools“ (Horizon 2020 – ECSEL Joint Undertaking der EU) geht es darum, einen digitalen Gebäudezwilling in Echtzeit mit dem Gebäude mitlaufen zu lassen. Dabei ist das Ziel, im Gebäude- und Anlagenmodell (IDA ICE) optimierte Regelparameter zu generieren und damit den Energieverbrauch des Gebäudes zu senken und gleichzeitig den NutzerInnenkomfort zu erhöhen.

Digitaler Gebäudezwilling: 3D Animation des Gebäudes (links) und Darstellung der Haustechnik (Mitte) mit Visualisierung von Simulationsdaten, Echtzeitsimulation (rechts). Quelle: EQUA Solutions

Des Weiteren beschäftigt sich AEE INTEC mit dem Realbetrieb von modellprädiktiven Regelungen für energieaktive Fassaden zur Bauteilaktivierung. Die neuentwickelten Regelalgorithmen werden dabei im Labormaßstab unter realen Bedingungen getestet, bevor sie an einem realen Gebäude innerhalb des EU-Projektes EXCESS zur Anwendung kommen. Ziel ist es dabei, die Energieflexibilität des Gebäudes durch die thermisch aktivierbaren Fassaden mit hoher Speicherkapazität zu erhöhen und Energien aus fluktuierenden erneuerbaren Quellen bestmöglich auszunutzen. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Reduktion des Gesamtenergiebedarfs und der Erhöhung solarer Deckungsgrade unter Einhaltung der Komfortkriterien.

Testfassade mit modellprädiktiver Regelung am Teststand bei AEE INTEC. Foto: AEE INTEC

Das Projekt „Open Data Platform“ will eine Grundlage schaffen, um mit Energieverbrauchsdaten und einem ausgeklügelten IT-Algorithmus KundInnen unter anderem beim Energiesparen zu unterstützen sowie Energieschwankungen und Lastspitzen zu prognostizieren und auszugleichen. AEE INTEC arbeitet hier an Analyse- und Prognosemodellen für den elektrischen Stromverbrauch. Mehr zur „Open Data Platform“ ist in diesem Heft auf Seite 21 zu finden.

Fehlererkennung und -diagnose ist ein Forschungsschwerpunkt am Institut für Softwaretechnologie (IST) der TU Graz. Das IST entwickelt aktuell eine IoT-basierte Überwachung des Campus „Innovation District Inffeldgasse“. Hier werden Methoden der künstlichen Intelligenz eingesetzt, um z. B. die Energieversorgung, Wasserversorgung, Erzeugungsanlagen etc. zu überwachen.

AIT arbeitet mit anderen Forschungspartnern im Rahmen des nationalen Projektes Flex+ (FFG Nr. 864996) aus dem Energieforschungsprogramm 2017 des Klima- und Energiefonds an der Flexibilität von automatisch ansteuerbaren Prosumer-Komponenten wie Wärmepumpen, Boilern, Batterien und E-Mobilität, die großflächig an kurzfristigen Strommärkten wie Spot- und Regelenergiemärkten teilnehmen und zur Minimierung der Ausgleichsenergie beitragen können. Im Zuge der wissenschaftlichen Arbeiten werden simplifizierte „Thermal Resistance and Capacity“ (RC)-Modelle zur Abbildung des energetischen Gebäudeverhaltens weiterentwickelt und verfeinert. Sie werden für Vorhersagen zum Betriebsverhalten ganzer Energiesysteme für Gebäude eingesetzt. Der Ansatz zur simplifizierten energetischen Gebäudemodellierung wird dem EBC Annex 81 zur Verfügung gestellt und dokumentiert.

Das Projekt der Internationalen Energieagentur (Annex 81) wurde Mitte 2020 gestartet und läuft noch bis Mitte 2023 mit einer anschließenden Berichtsund Know-how-Transferphase bis Mitte 2024.

AutorInnen

Dr. Stephen White, CSIRO, Australien, leitet den Annex 81 der Internationalen Energieagentur als Operating Agent.

Dipl.-Ing. Dagmar Jähnig, MSc. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bereichs “Gebäude” bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Glossar

  1. Data Governance steht für ganzheitliches Management von Daten, die in einem Unternehmen oder einer Organisation verwendet werden. Es beinhaltet Richtlinien und Vorgehensweisen, um die Qualität, den Schutz und die Sicherheit der Daten zu gewährleisten und sorgt für die Einhaltung rechtlicher Vorgaben. (https://www.storage-insider.de)
  2. Während Menschen den Sinn mehrdeutiger Informationen aus dem gegebenen Kontext schließen können, muss Maschinen dieser Zusammenhang durch zusätzliche Informationen erst beigebracht werden. (https://de.wikipedia.org/wiki/Semantic_Web)

Weiterführende Informationen

Datengesteuerte intelligente Gebäude (IEA EBC Annex 81) https://annex81.iea-ebc.org/

Weitere Projekte der Internationalen Energieagentur zum Thema Digitalisierung

IEA IETS Annex 18 - Digitalisierung, künstliche Intelligenz und verwandte Technologien für Energieeffizienz und Reduzierung der THG-Emissionen in der Industrie (https://iea-industry.org/annexes/digitalization-artificial-intelligence-and-related-technologies-for-energy-efficiency-and-ghgemissions-reduction-in-industry/)

IEA DHC Annex TS4 – Digitalisierung in der Industrie (https://www.iea-dhc.org/the-research/annexes/2018-2024-annex-ts4)

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