Zeitschrift EE

nt 03 | 2021 Energiequelle Abwasser

Die energie-positive Kläranlage der Zukunft als Akteur bei der Energiewende

Die Politik auf europäischer aber auch nationaler Ebene hat mit ambitionierten Zielen den Kampf gegen den Klimawandel gestartet (unter anderem das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Deutschland und das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz in Österreich). Neue Richtlinien und Gesetze sollen auf den Weg gebracht werden, um die weiteren Auswirkungen des Klimawandels einzudämmen.

Foto: iStock/MichaelUtech

Jedoch sollten auch andere potenzielle Produzenten erneuerbarer Energien in Betracht gezogen werden, wie zum Beispiel die kommunalen Kläranlagen [1]. Im Moment gehören Kläranlagen zu den größten Stromverbrauchern vieler Gemeinden. Die Energie, die heute in der EU für die Klärung des Abwassers benötigt wird, beträgt im Schnitt 32 kWH pro Einwohner (EW) und Jahr für große Abwasserreinigungsanlagen [2], insgesamt würde dies im Mittel der Produktion von zwei großen Kraftwerken (knapp 16.000 GWh pro Jahr oder 1 % des Stromverbrauchs der EU) entsprechen. Dabei wäre es durchaus möglich, Kläranlagen so zu planen und zu betreiben, dass sie keinen Strom verbrauchen, sondern stattdessen sogar Energie aus erneuerbaren Quellen ins Stromnetz einspeisen [3]. Rechnet man mit 175 kWH/(EW*a) als theoretischem Energiepotenzial des organischen Materials im Abwasser [3], würde das einem Gesamtenergiepotenzial von etwa 87.500 GWh pro Jahr für die EU 27 entsprechen.

Die Kläranlage als Energieproduzent aber mit Hürden

Heutzutage könnten theoretisch die meisten Kläranlagen energieneutral arbeiten, oft sprechen allerdings wirtschaftliche Betrachtungen dagegen [4]. Die typische konventionelle Kläranlage besteht aus einer Vorklärung und einer anschließenden biologischen Stufe zur Elimination von Kohlenstoff-, Stickstoff- und Phosphorverbindungen. Man gewinnt am Ende des gesamten Reinigungsprozesses nur rund 10 % des Energiepotenzials (maximal 18 kWH/(EW*a)) als elektrische Energie mittels Faulung und anschließender Kraft-Wärme-Kopplung im Blockheizkraftwerk (BHKW) wieder [5]. Diese gewonnene Energie wird dabei komplett für den Reinigungsprozess selbst verwendet (Belüftung, Rührer, Pumpen, Heizung des Faulturms).

„POWERSTEP“ – ein EU gefördertes Projekt

Genau hier setzte das EU-Forschungsprojekt POWERSTEP an. Ziel des Projekts war es, durch die richtige Kombination bestehender und innovativer Technologien und die Einbindung von neuen Konzepten die „energie-positive“ Kläranlage der Zukunft wirtschaftlich wettbewerbsfähig zu machen. In dem dreijährigen Projekt arbeiteten 15 europäische Partner mit einem Gesamtbudget von 5,2 Millionen EUR zusammen. Koordiniert wurde das Vorhaben mit Partnern aus sieben Ländern vom Kompetenzzentrum Wasser Berlin.

POWERSTEP-Konzept einer „energie-positiven“ Kläranlage der Zukunft. Quelle: Kompetenzzentrum Wasser Berlin gGmbh

Was ist der Unterschied zu bisherigen Konzepten?

Im POWERSTEP-Konzept wird die Energie aus Abwasser mittels Faulung des energiereichen Klärschlamms gewonnen. Da jedoch zur Produktion von Biogas der kohlenstoffreiche Primärschlamm am besten geeignet ist, beruht das Konzept auf dem Ansatz, anstatt der üblichen 30 % bis zu 80 % des Kohlenstoffs als Primärschlamm über eine Filtration abzuziehen. Neben dem Vorteil mehr Biogas - sprich Energie - zu produzieren, kann auch der Flächenbedarf der Anlage reduziert werden, da die nachfolgende biologische Stufe verkleinert werden kann.

Um nach der erweiterten Vorklärung die nachfolgenden Prozesse der Abwasserreinigung zu optimieren, kommen innovative Ansätze ins Spiel: Aufgrund der hohen Kohlenstoffextraktion fehlt für die biologische Stickstoffentfernung nun eine Kohlenstoffquelle. Hier wurde der Einsatz eines Anammoxverfahrens im Hauptstrom erstmals bei niedrigen Abwassertemperaturen getestet. Dabei kommen Mikroorganismen zum Einsatz, die Stickstoffverbindungen ohne Verbrauch von Kohlenstoff („autotroph“) abbauen können. Bei diesem Prozess wird auch weniger Energie für die Belüftung benötigt als bei herkömmlichen Verfahren. Mehr Schlamm zur Klärschlammfaulung bedeutet aber auch mehr stickstoffreiches Prozesswasser aus der Entwässerung des Schlammes. Zur separaten Entfernung und Rückgewinnung dieses Stickstoffs wurde die Membranstrippung erprobt, mit der Stickstoffdünger als Wertstoff zurückgewonnen wird. Auch bei der Faulgasnutzung und energetischen Integration wurden innovative Konzepte verfolgt wie „Power-to-Gas“ über biologische Methanisierung von CO2 oder „Heat-to-Power“, um Überschusswärme wieder in Strom zu wandeln.

Funktioniert das Konzept auch in der Praxis?

Diese Frage der praktischen Umsetzung werden möglicherweise Skeptiker und Konservative der Branche stellen. Europaweit einzigartig war nämlich gerade auch die Prüfung dieses Konzeptes anhand von realen Fallstudien in Form von großtechnischen Demonstrationsanlagen auf sechs Kläranlagen Europas. Hier wurden die verschiedenen Technologien unter Praxisbedingungen getestet, die für die Umsetzung des POWERSTEP-Konzeptes notwendig sind.

Neben Fragen der technischen Realisierung wurden die Demonstrationskonzepte in POWERSTEP auch umfassend ökologisch und ökonomisch bewertet. Denn das Konzept der „energie-positiven“ Kläranlage bliebe nur ein Konzept, wenn es wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig wäre. Mittels umfassender Ökobilanzen (englisch: Life Cycle Assessment) und wirtschaftlichen Berechnungen wurde bewiesen, dass die Umsetzungen leistbar sind und auch klimarelevante Vorteile mit sich bringen, ohne die Grundaufgabe der Abwasserreinigung negativ zu beeinflussen.

Energie- und Treibhausgasbilanz für Referenzklärwerk und POWERSTEP-Konzepte mit Kohlenstoffextraktion für eine Kläranlage für 500.000 EW. Quelle: Kompetenzzentrum Wasser Berlin gGmbh

Weitere Forschungsprojekte über Energie auf Kläranlagen

POWERSTEP war im Zeitraum zwischen 2015-2018 eines der internationalen Leuchtturmprojekte im Bereich energie-positive Kläranlagen und tauschte sich eng mit weiteren Projekten wie ENERWATER und REEF-2W aus. Nach POWERSTEP wurden die im Projekt entwickelten Ansätze in anderen Projekten weitergeführt: Das Projekt ARA der Zukunft (Förderwerber: TU Wien) entwickelte ein innovatives und nachhaltiges Konzept für die kommunale Abwasserreinigung der Zukunft, das sowohl die Ressourcenrückgewinnung als auch die Ressourcenschonung beim Bau und Betrieb von Kläranlagen in die konventionelle Abwasserreinigung integriert. Das Projekt Kläffizient (Förderwerber: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) und Grünes Gas (Förderwerber: Kompetenzzentrum Wasser Berlin) beschäftigen sich intensiv mit der Integration von Kläranlagen im Energiesektor. Die Projekte E-VENT (Förderwerber: Kompetenzzentrum Wasser Berlin), Linpor-HD (Förderwerber: TU Wien) und AR-HES-B (Förderwerber: AEE INTEC) untersuchten wichtige Teilprozesse wie die biologische Stufe, die Schlammhydrolyse beziehungsweise Stickstoffrückgewinnung mittels Membrandestillation im Hinblick auf die Einsparung von Energie und Treibhausgasemissionen bei der Abwasserreinigung der Zukunft.

Weiterführende Informationen

www.powerstep.eu Download zu diversen Berichten und Informationen zum Thema „Energie und Abwasser“: https://klaerwerk.info/fachwissen/energie-und-e-technik/wissenschaftliche-berichte-zur-energie-und-e-technik/#ene9

WIVA P&G (Ein Verein zur Förderung von Forschung und Entwicklung in den Bereichen der Anwendungs-, Netz- und Speichertechnologien von Wasserstoff und erneuerbaren Gasen sowie Maßnahmen zur Dissemination dieser Aktivitäten): https://www.wiva.at/v2/

Details zu den weiteren Forschungsprojekten: https://www.enerwater.eu/; https://www.interreg-central.eu/Content.Node/REEF-2W.html

Literatur

[1] Seibert-Erling, G. (2015): Energiewende bringt Licht- und Schatten für Kläranlagen (Teil 1). Wasserwirtschaft, Wassertechnik (wwt), 10/2015, 27-31

[2] DWA (2013): 25th Benchmarking of German wastewater treatment plants.

[3] Geiss, P. (2015): Vom Kraftwerk zum Klärkraftwerk – Maschinen- und steuerungstechnische Modernisierung optimiert Kläranlagenbetrieb und Energiebilanz. Wasserwirtschaft, Wassertechnik (wwt), 3/2015, 31-33

[4] Heidrich, E. S. et al. (2010): Determination of the Internal Chemical Energy of Wastewater. Environmental Science & Technology 45 (2), 827-832.

[5] Remy, C.; Boulestreau, M. and Lesjean, B. (2014): Proof of concept for a new energy-positive wastewater treatment scheme. Water Science and Technology 70 (10), 1709-1716.

The project “Full scale demonstration of energy positive sewage treatment plant concepts towards market penetration” (POWERSTEP) has received funding under the European Union HORIZON 2020 – Innovation Actions - Grant agreement° 641661.

 

Autor*innen

Dr. nat. techn. Christian Loderer ist Ziviltechniker und Projektleiter bei STEINBACHER+STEINBACHER ZT GMBH. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dr.-Ing. Christian Remy ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Kompetenzzentrum Wasser Berlin gGmbH. christian.remy@kompetenz-wasser

Top of page